“Ich hab gehört, wenn man trainiert, soll man auch dehnen. Stimmt das? Und, wenn ja, soll ich vor oder nach dem Training dehnen?”

Beim Dehnen gibt es eigentlich fast immer nur zwei Meinungen: “Dehnen ist super wichtig! Ich dehne jeden Tag!” und “Dehnen ist so langweilig und unnötig! Ich dehne nie!” Die erste Gruppe ist meistens sehr beweglich und die zweite muss sich zum Schuhebinden hinsetzen. “Ist ja klar, die einen dehnen, die anderen nicht!” Naja ganz so einfach ist es dann doch wieder nicht. Hier ist wieder das klassische Henne-Ei-Problem (Was war zuerst da, die Henne, oder das Ei?) am Werk. War die erste Gruppe schon beweglich und hat dann erst das Dehnen für sich entdeckt? Hat die zweite Gruppe einfach das Dehnen aufgegeben, nachdem sie es sowieso nicht schafft?

Man macht gerne die Dinge, die man gut kann. Daher dehnen auch oftmals mehr Frauen, als Männer (Männer, die in Yogastunden gehen, sind eher wegen den Frauen dort, als wirklich für “das Kuhgesicht“). Aber gerade die haben es eigentlich weniger nötig, da sie von Grund auf gelenkiger sind als Männer.

Puh, das war jetzt eigentlich eine ganz schön lange Einleitung, um zu meiner Meinung zum Dehnen zu gelangen. Dafür wird’s dich jetzt aber vom Hocker (Ubahn-Sitz, Bürostuhl, Couch 😉 ) hauen!

Achtung, bereit?

Es kommt drauf an.

Wow, wie ich diese Aussage liebe! Leider ist sie aber fast überall zutreffend…

Fangen wir mal so an, wieso willst du eigentlich dehnen? “Ich möchte flexibler werden!” Ok, verstanden. Aber, wozu? “Ähm….” Und hier liegt das Problem. Wenn du kein klares Ziel verfolgst, ist es in den meisten Fällen unnötig. “Ich möchte bei der Kniebeuge weiter runterkommen.” Ahhhh, na schau, damit können wir arbeiten! Ist auch ziemlich einfach. Mach einfach SCHWERE KNIEBEUGEN!!!! Das Gewicht drückt dich schon in die richtige Position 😉 Aber ich weiß, es wäre schön, wenn’s so einfach wäre…

Also, die Kniebeuge ist eine Bewegung und um in dieser flexibler zu werden, muss die Dehnung auch in einer Bewegung stattfinden. Das heißt jetzt aber nicht, dass du deinen Hintern einfach zwischen deine Beine fallen lässt und wieder aufstehst. Das ist der Unterschied zwischen ballistischem Dehnen und dynamischem Dehnen. Bei Ersterem nutzt du den Schwung, um einen größeren Bewegungsradius zu erreichen. In unserem Fall ist es besser, Zweiteres anzuwenden. Also dich kontrolliert zwischen deine Beine zu setzen, sprich deine Muskeln zur Kontrolle zu nutzen. Steh einfach mal auf und mach mit (In einer vollen Ubahn könntest du verwirrte Blicke von oben ernten. In diesem Fall mach die Bewegungen vielleicht doch eher im Kopf mit 😉 )!

Setzt dich jetzt zwischen deine Beine.

Wie weit kommst du? Berühren deine Oberschenkel deine Waden? Ja? Ist dein Rücken auch gerade dabei? Also schaut er von der Seite aus wie eine Sprungschanze? Sehr gut, du kannst aufhören, dehnen ist für dich nicht notwendig!

Aber ich nehme an, es schaut eher aus wie ein hockender Glöckner von Notre Dame. Also sind deine Muskeln entweder im Sprunggelenk, in den hinteren Oberschenkeln, oder in der Leiste verkürzt. Wobei verkürzt das falsche Wort ist. Eigentlich ist es ein Schutzmechanismus deines Körpers, damit du dich nicht verletzt. Wieso kannst du keinen Spagat (und wenn du einen kannst, wieso liest du einen Artikel über’s Dehnen??)? Weil es für dein Leben nicht notwendig, teilweise sogar nachteilig ist (Schon mal versucht, einem Säbelzahntiger aus dieser Position zu entkommen? Deine Beeren kannst du auch einfacher pflücken und am Lagerfeuer ist es auch nicht bequemer, als auf einem Stein zu hocken)! Dein Zentralnervensystem befiehlt deinen Muskeln zu spannen, wenn du über einen gewissen Radius kommst. Und so entstehen auch die “Verkürzungen”. Wenn du zum Beispiel den ganzen Tag in irgendeiner Form sitzt (Frühstücken, zur Arbeit fahren (UBahn oder Auto), Mittagessen, von der Arbeit heimfahren, Abendessen, auf der Couch fernschauen… sitzen wir eigentlich die ganze Zeit??), werden deine Muskeln schwächer, da sie nicht benötigt werden. Schwache Muskeln sind aber auch verletzungsanfällige Muskeln. Das heißt, sie bekommen immer früher den Befehl zu spannen, um nicht in Bereiche zu kommen, wo sie nicht mehr genügend Kraft aufbringen können, um dich zu stützen (tiefe Kniebeuge, Spagat, etc.).

“Gut und schön, und wie hilft mir das jetzt, eine tiefere Kniebeuge zu schaffen?”

Geduld war früher mal eine Tugend… 😉 Ganz “einfach”, wir müssen unseren Körper austricksen.

Zuerst musst du deine Muskeln aufwärmen. Aber nicht, in dem du Kniebeugen machst (oder noch schlimmer, Cardiotraining), da deine Muskeln ja dann wieder den Befehl bekommen, zu spannen. Nein, hier ist ein heißes Bad/Dusche, Sauna, etc. angesagt. Dadurch können sie sich ENTspannen und das ist genau das, was wir wollen!

Jetzt geh laaaangsam in eine Kniebeuge und drück mit deinen Ellbogen deine Knie noch weiter nach außen. In dieser Position bleib ein paar Sekunden (10-15 Sekunden und nicht auf’s Atmen vergessen! Luft anhalten, ist wieder ein Signal zu spannen!). Dann ruhig und tief ausatmen und dabei mit dem Hintern noch tiefer gehen. Auch hier wieder ein paar Sekunden verharren. Das Ganze noch 2-3x wiederholen.

Achtung! Nicht einfach aufstehen! Sonst spannst du deine Muskeln wieder an und erzeugst einen gegenteiligen Effekt. Also, roll dich nach hinten ab, dreh dich zur Seite und stütz dich mit deinen Armen ab, während du aufstehst. Wiederhole alles noch ein paar Mal (keine Sorge, du kannst nebenbei gerne fernschauen). Wenn du das ein paar Tage machst, wirst du sehen, du wirst tiefer runterkommen.

Aber auch, wenn es oben als Spaß formuliert war, Kniebeugen mit schwerem Gewicht und vielen Wiederholungen, helfen dir wirklich, tiefer runterzukommen!

Dieses “Dehnen” funktioniert natürlich nicht nur für die Kniebeuge, sondern auch für deine anderen Verkürzungen. “Und wann soll ich das machen? Vor oder nach dem Training?” Die von mir beschriebene Variante, ist am besten an trainingsfreien Tagen durchzuführen. Wenn du es davor machen würdest, wärst du durch die Entspannung zu inaktiv für’s Training und danach sind deine Muskeln zu sehr mit Blut gefüllt. Da es aber eine Bewegung ist, ist es natürlich perfekt, einige Wiederholungen auszuführen, bevor du mit der richtigen Übung (schwere Kniebeugen) beginnst (Zuerst frei, dann nur mit der leeren Langhantel, immer schön tief gehen).

“Heißt das, mein “Cool-Down”-Dehnen nach dem Training bringt nix?” Richtig! 😉 Zumindest nicht für deine Beweglichkeit. Wenn du es machst, um wieder “runter zu kommen” und es dir dabei hilft, kannst du es natürlich weiterhin machen. Dass du deswegen dann keinen Muskelkater bekommst, ist aber leider nur Einbildung 😉

Hier nochmal meine Meinung zum Dehnen zusammengefasst:

Beweglichkeit an sich ist von vielen Faktoren abhängig: Alter, Geschlecht, Trainingsvorgeschichte, Atmung, Temperatur (sowohl des Körpers, als auch Außentemperatur), Art des Gelenks und sogar die Tageszeit hat hier einen Einfluss!

Dehnen an sich bringt nicht viel, um deine Beweglichkeit zu verbessern, da sich Muskeln nicht wirklich dehnen lassen (sie bleiben nicht in diesem “verlängerten” Zustand). Du trickst damit nur den Schutzmechanismus deines Körpers aus. Das ist meiner Meinung nach jedoch nur dann sinnhaft, wenn bereits Bewegungseinschränkungen vorliegen. Falls du es nicht für irgendeinen Sport brauchst (Volleyball Angriff, Ballett, fällt mir spontan ein), ist es möglicherweise sogar gefährlich! Hast du nämlich nicht genug Kraft in den “übertriebenen” Positionen, kann es sehr schnell zu einer Verletzung kommen. “Und wie kann man dem entgegenwirken?” Richtig! Mit Krafttraining (Krafttraining mit freien Gewichten über einen hohen Bewegungsradius, macht automatisch beweglicher UND stärker in diesen Positionen)! Und natürlich funktioniert das nur, wenn du es regelmäßig und über einen längeren Zeitraum machst. 😉

Das war übrigens ein Thema, das von jemandem gewünscht wurde (Ich hoffe, du bist zufrieden mit meiner Antwort 😉 ). Falls du auch etwas wissen willst, über das ich genauer schreiben soll, kannst es gerne unten in die Kommentare schreiben. Oder du kontaktierst mich hier, oder über Facebook.

Dein

Fitnesstrainer Wien,

Chris